Wie gut ist der neue ETF von Gerd Kommer wirklich?

Von 
Björn Beier
 · Hochgeladen am 
Jul 4, 2023
 · Letztes Update am 

Seit Kurzem ist der L&G Gerd Kommer Multifactor Equity ETF von Gerd Kommer handelbar. Gerd Kommer? Den kennen wahrscheinlich die meisten von euch informell als "ETF-Papst". Auf YouTube ist er gerne gesehen. Sein Buch “Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs" ist extrem erfolgreich. Und wäre das alles noch nicht genug, durfte er vor zwei Wochen auf einem privaten Investmentstammtisch in Frankfurt noch mit diesem super coolen und erfolgreichen Finanzblogger Björn Beier auf dem Podium stehen um sich zum Hype über Finanzinfluencer zu äußern (war ein cooles Event, danke dafür). Spaß bei Seite: Er prägte die deutsche ETF-Landschaft wie kaum ein anderer. Aber was taugt der ETF von Gerd Kommer und würde ich hier persönlich investieren?

Auf der Informationsseite des ETFs erhält man relativ viele Informationen direkt auf einen Blick. Bei ETFs ist es üblich, auf geringe Kosten zu setzen. Gerade das macht sie im Vergleich zu aktiven Fonds attraktiv, da Fondsmanager nicht nobel vergütet werden müssen. Kommers Produkt schlägt hier mit 0,5% p.a. zu Buche. Im Vergleich zum FTSE All-World ETF von Vanguard mit 0,22% Kosten p.a. ist das mehr als doppelt so viel. Trotzdem ist der ETF nicht zu teuer.

Grad in der Anfangsphase mit kleinem Fondsvolumen ist es üblich, dass ETFs teurer sind als vergleichbare, die schon Milliarden an Kapital einsammeln konnten. Dazu ist der FTSE All-World ETF von Vanguard in diesem Fall die falsche Benchmark. Kommer setzt in seinem ETF nämlich auf sogenanntes Factor Investing, also verschiedene Faktorprämien, was i.d.R. mit erhöhten Transaktionskosten einhergehen könnte. Ein vergleichbarer ETF von iShares kostet ebenfalls 0,5% p.a., was Kommers Produkt zu einem würdigen Konkurrenten macht.

Factor Investing

Factor Investing (manchmal auch als Smart Beta bezeichnet) ist eine Investmentstrategie, bei der verschiedene Faktoren betrachtet werden. Diese Faktoren zeichnen sich in Unternehmensmerkmalen ab (Achtung, es folgt ein kurzer theoretischer Einschub):

Ursprünglich begann alles mit dem Capital Asset Pricing Modell (CAPM) in den 1960er Jahren, was auf der Portfoliotheorie von Harry Markowitz aufbaute. Es sollte die Preisbildung risikobehafteter Finanzprodukte erklären und stellt Rendite und Risiko in Beziehung zueinander. Noch heute ist es ein zentraler Baustein der Kapitalmarkttheorie. Im CAPM werden Aktienrenditen durch das Marktrisiko Beta erklärt. Später gab es jedoch Kritik am CAPM: So wies Banz 1981 nach, dass die Unternehmensgröße einen Effekt auf die Renditen hatte, die nicht durch das CAPM zu erklären waren. Später entwickelten Fama und French 1992 ein Modell, welches Aktienrenditen besser prognostizieren sollte: Das Drei-Faktoren-Modell. Es umfasste neben dem Faktor Size auch den Faktor Value, welcher aussagt, dass das Kurs-Buchwert-Verhältnis ebenfalls einen Einfluss auf die Renditen hat. Später wurde das Modell zu einem Fünf-Faktoren-Modell ausgebaut, welches die Prämien Size, Value, Profitability, Investment und Market Risk umfasste.

Kommer bringt ebenfalls die Prämie Momentum und Political Risk ein. Diese Art des Portfolioaufbaus ist verständlich. Die Faktoren sind von der Wissenschaft nachgewiesen und könnten über lange Zeiträume gegenüber einem “marktneutralem” Portfolio (z.B. nach Marktkapitalisierung gewichteter ETF auf den Gesamtmarkt aller Aktien) eine Outperformance nach Kosten erzielen. Hier ist jedoch anzumerken, dass diese Faktoren von der Wissenschaft nicht in Stein gemeißelt sind.  Fama selbst ist sich nicht über den Investment Faktor sicher und es ist davon auszugehen, dass mit der Zeit neue Faktoren gefunden oder alte verworfen werden. Dabei spielt die theoretische Überlegung eine Rolle, dass Faktoren unsichtbar werden, sobald eine genügend große Menge nach eben diesen Faktoren investiert. Wer sich für die Faktoren die Gerd Kommers ETF verwendet interessiert, kann einen Blick auf Kapitel 7 der Index Guidelines des Indexanbieters Solactive werfen, wo genauer aufgeschlüsselt wird wie diese definiert werden.

BIP-Gewichtung

Kommen wir jetzt aber zu den Themen, die ich eher kritisch sehe. Der ETF gewichtet Unternehmen nicht pur nach Marktkapitalisierung, sondern 50/50 nach Marktkapitalisierung und Bruttoinlandsprodukt (BIP) eines Landes. Breite empirische Evidenz für diese Art des Investierens wegen besserer Performance gibt es nicht. Auch der MSCI ACWI GDP Weighted Index in US-Dollar hängt seit dem Jahr 2000 dem normalen MSCI ACWI hinterher (5,08% vs. 5,46% p.a.). Und selbst wenn es eine bessere Performance gäbe, scheint die Gewichtung von 50/50 eher willkürlich als wissenschaftlich fundiert. Witzigerweise beantworteten Fama & French, dessen Ansatz Kommer zu großen Teilen mit dem Factor Investing verfolgt, auf genau diese Frage bereits in 2011:

“Welchen Vorteil bietet es, wenn überhaupt, ein Ländergewichtungsschema zu verwenden, das auf dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) und nicht auf der Marktkapitalisierung basiert?”

“Wir können keinen Vorteil sehen. Anleger als Ganzes können dieser Strategie nicht folgen, da die Gesamtheit der Anlegerportfolios das nach Marktkapitalisierung gewichtete Marktportfolio sein muss.”

Diese Antwort ist sehr wissenschaftlich, abstrakt und vor Einführung des Fünf-Faktoren Modells getroffen worden. Jedoch dürfte sie auch weiterhin Relevanz haben. Eine Abweichung durch Gewichtung nach BIP ist eine Abweichung nach taste, also persönlichen Geschmack, von dem, was wir Gesamtmarkt nennen könnten. 

Als Grund für diese Abweichung gibt Kommer unter anderem an, dass die USA sonst zu hoch gewichtet sei auch die WELT benennt das im gleichen Kontext als Makel des MSCI Worlds. Eine Kernfrage, für die es verschiedene Gründe geben kann. Für mich ist die Verteilung jedoch alles andere als schlecht. Internationale Unternehmen sind schon innerhalb des Unternehmens diversifiziert. Umsätze werden meist nicht nur im Heimatmarkt, sondern in vielen anderen Märkten getätigt. Nehmen wir als Beispiel die Umsätze von Apple im zweiten Quartal in 2023: 37,78 Milliarden US-Dollar wurden in den USA, 23,95 Milliarden in Europa und 17,81 Milliarden in China umgesetzt. Japan und der restliche Markt in der Asia-Pacific Region kommt auf 15,3 Milliarden US-Dollar. Für andere Unternehmen sieht es übrigens ähnlich aus.

Ist dabei der Sitz des Unternehmens tatsächlich ein entscheidender Faktor? Man könnte nun meinen, dass das Unternehmen je nach Sitz sensibel auf Steueranpassungen des Landes vom Hauptsitz reagiere. Dabei betreiben globale Konzerne schon über Jahre hinweg Steuervermeidungsstrategien, z.B. in Europa über irische Tochterfirmen. Eine andere mögliche Gefahr wäre zum Beispiel die Sicherheit oder die freiheitliche demokratische Struktur eines Landes. So haben wir mit Beginn des Russlandkrieges gegen die Ukraine erlebt, wie investierbare Assets in Russland über Nacht ausgelöscht oder ADRs wertlos gestellt wurden. Gleiches könnte, wenn man der Meinung westlicher Leitmedien folgt und ohne jegliche eigene Wertung, z.B. für China bei einem Konflikt mit Taiwan zutreffen, dessen Anteil in einer traditionellen 70/30 Gewichtung von MSCI World und Emerging Markets, aber auch im Portfolio von Gerd Kommer erhöht wäre. Der Zerfall der USA ist im Grunde eine ebenso blinde Vermutung, die Marktteilnehmer bisher noch nicht zu teilen scheinen.

Die Entscheidung nach BIP-Gewichtung wäre für mich noch verständlicher, wenn man in alle Unternehmen eines Landes auch investieren könnte. Das ist aber besonders in Deutschland (und wahrscheinlich in Schwellenländern) eher nicht der Fall. Dazu ist anzumerken, dass von einem erhöhten BIP eines Landes nicht unbedingt heimische Unternehmen profitieren müssen.

Winner Begrenzung und Loser Screen

Ferner ist das Gewicht einzelner Aktien am Anpassungstag auf maximal 1% beschränkt, für Gerd Kommer ist dies Teil einer Ultradiversifikation. Eine wissenschaftliche Begründung für diese Abweichung oder eine Abgrenzung auf maximal 1%, gibt es nicht. Ich könnte auch willkürlich bei 2% oder 10% pro Einzelaktie eine Grenze ziehen. Mit der gleichen Begründung könnte ich ebenfalls einen Equal-Weight ETF (ein ETF, in dem jede Aktie gleich gewichtet ist) kaufen. Zusätzlich ist fraglich, ob bei dieser Ultradiversifikation entsprechend der Faktorprämien eine Überrendite gegenüber nach Marktkapitalisierung gewichteten ETFs erzielt werden kann. So enthält z.B. der ETF Multifactor ETF von iShares weniger Aktien als im Index ohne Faktorprämien.

Ein anderer Kritikpunkt von mir sind die ökologischen Filter (ESG Screening), welche der ETF einsetzt. Der Fokus liegt auf der Verringerung von CO2-Emissionen und Aspekten, über die am ehesten Konsens herrsche. Die Top-3-Prozent der Unternehmen in elf Hauptbranchen mit den höchsten CO2-Emissionen würden ausgeschlossen. Dazu Unternehmen, die kontroverse Waffen produzieren oder Kohle herstellen. Diese Abweichung darf man aus moralischen Gründen machen, genau wie ich aus moralischen Gründen Alkoholhersteller aus meinem Portfolio ausschließen oder Private Equity Investments in Baumschulen übergewichten könnte. Anyway, zum Thema Nachhaltigkeit folgt noch ein gesonderter Blogbeitrag. Deswegen mache ich es hier kurz: Führt das alles zu einer Überrendite? Dafür gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keine wissenschaftliche Evidenz. Zumindest sollte klar von außen ersichtlich werden, welche Unternehmen wegen welcher Kriterien ein- oder ausgeschlossen wurden und nicht nur die Kriterien selbst aufgezählt werden.

Wie machen sich diese Eingriffe in den Top 5 Aktien des ETFs bemerkbar? Im FTSE All-World ETF sind die Top 5 Aktien Apple, Microsoft, Amazon, NVIDIA und Alphabet. In Kommers ETF schmeißen wir schmutzige Unternehmen wie Amazon, NVIDIA und Alphabet selbstverständlich aus den Top 5 raus. Und ersetzen sie gegen Meta und die Ölgiganten Exxon und Chevron. Die Energiekonzerne haben im übrigen in beiden Fällen ein höheres Gewicht als im traditionellen FTSE All-World, aber hey: Ich bin auch kein Experte für Nachhaltigkeit und Co2-Emissionen. Diese Darstellung ist selbstverständlich etwas gehässig, zeigt aber, was die Verwendung vieler Eingriffe (Begrenzung auf 1% Gesamtgewicht, BIP-Gewichtung, ESG-Kriterien, Faktorprämien..) mit dem "Gesamtmarkt" nach Marktkapitalisierung machen können. Und vielleicht wird ja das beste Value-Unternehmen, was gemäß der Value-Prämie eigentlich im ETF ein erhöhtes Gewicht haben sollte nicht gewichtet, weil die ESG-Kriterien es ausschließen? Who knows.

An Unterscheidungskriterien zu einem normalen All-World ETF reicht das selbstverständlich noch nicht. Deswegen werden beim ETF von Kommer auch noch Loser-Aktien ausgeschlossen. Das sind Aktien, die oft leer verkauft wurden oder vor kurzem einen IPO (Börsengang) hatten. Auch wenn meines WIssens nach nachgewiesen kann, dass IPO Aktien direkt nach dem Börsengang eher schlechter performen als der Gesamtmarkt, dürften die meisten Aktien die frisch an die Börse kommen nur ein kleines Gewicht für den gesamten ETF haben. Laut Indexkriterien wird eine Aktie erst frühstens 12 Monate nach dem Börsengang in den Index bzw. ETF aufgenommen. Ob diese Zeitspanne in irgendeiner Form durch Studien oder Backtests als relevant einzustufen ist, kann ich an dieser Stelle nicht sagen.

Eher stört mich das Ausschließen von oft leer verkauften Aktien. Aktien werden i.d.R. von Hedgefonds leer verkauft um an fallenden Kursen eines Wertpapiers zu partizipieren. Mit einer solchen Regelung stellt man sich systematisch auf die Seite der Leerverkäufer und partizipiert eigentlich schon offen aktiv am Markt. Klar, man könnte jetzt sagen, dass man Aktien nicht aktiv auswählt. Man sagt also nicht, dass Apple reinkommt und Microsoft raus muss. Aber so sieht der Prozess ja bei Hedgefonds aus, die die Aktien leer verkaufen (und die man hier entsprechend kopiert). Jemand der nüchtern wäre, würde die Aktien in der Gesamtheit mitkaufen, da das Interesse an Leerverkäufen bereits im Kurs (üblicherweise ein geringerer Kurs) enthalten sein sollte.

Mein Fazit

Der ETF von Gerd Kommer ist kein schlechtes Produkt. Ganz im Gegenteil, hier kommen Fans der Investmentansätze von Gerd Kommer auf ihre Kosten und es sind einige wissenschaftliche Faktoren enthalten. Auch Merkmale, über die Kommer schon öfter öffentlich sprach, sind mit dabei. Trotzdem sollte man einen Blick auf den Inhalt werfen. Aus moralischer Sicht ist ebenfalls vorbildlich, dass sich Kommer trotz gut laufender Vermögensverwaltung immer neuen Aufgaben stellt. Niemand ist dazu gezwungen, einen ETF zu entwerfen, durch den dann der eigene Trackrecord sichtbar wird. Grad weil z.B. Dirk Müller oder Frank Thelen in der Öffentlichkeit stark an ihren Renditen gemessen werden. Dazu dürfte Kommer im Vergleich nicht üppig an seinem ETF verdienen.

Für mich ist der ETF jedoch zu kompliziert und intransparent. Die Gewichtung nach BIP, die eher willkürliche Beschneidung großer Unternehmen, Nachhaltigkeitsaspekte, die nur schwer selbst nachvollzogen werden können und ein Screening von “Losern”. Mit beispielsweise passiven, breit gestreuten Welt ETFs verbindet man Prognosefreiheit. Ist diese wirklich gegeben, wenn ich dem Markt (hier z.B. der USA) aus welchen Gründen der Diversifikation auch immer misstraue, große Unternehmen wie Apple und Microsoft begrenze und davon ausgehe, dass Aktien, die von Fondsmanagern als verlustbringend eingestuft werden ebenfalls so bewerte?

Deswegen zwei Vorschläge für zukünftige Indexentwickler:

Automatic Manager Index: Der Index ist bestrebt die Gesamtheit der Aktien zu kaufen, die Fondsmanager als renditeträchtig einstufen, also am häufigsten in den Top 10 aller Fondsmanagerportfolios vorhanden sind. Dabei werden die Aktien ausgeschlossen, die oft von Fondsmanagern leer verkauft wurden.

Prognosefreier Index: Die Basis dieses Index für die Aktienauswahl ist ein systematisches Aktienselektionsmodell, das auf lange Sicht eine Überrendite generieren sollen. Dabei wird die Gewichtung von Qualitätsaktien flexibel je nach Entwicklung der einzelnen Zielmärkte gewählt. Und..

..ach, lassen wir das. Besonders weil ich die zweite Beschreibung fast eins zu eins von einem zufällig ausgewähltem aktiven Fonds abgeschrieben habe.

Gut, ich bin kein Fan dieser Ausschlusskriterien, habt ihr gemerkt. Aber dann habe ich wenigstens die Bitte, dass transparent aufgeschlüsselt wird, welche Aktien wegen welchem Kriterium eingeschlossen und welche weswegen inkludiert wurden, auch wenn das nach sehr viel Arbeit klingt. Und weil das so kompliziert klingt, bleibe ich persönlich lieber bei möglichst einfachen und transparenter gestalteten Produkten, wo diese Erklärungen gar nicht erst notwendig sind. Konkret beim FTSE All-World ETF von Vanguard. Abweichungen treffe ich selbst in Form von einigen Einzelaktien, quasi als Hobby. Die Auswahl der Einzelaktien ist aber niemals eine Empfehlung an euch, liebe Leser, denn wie sagte der Gründervater öffentlich zugänglicher Indexfonds einmal so schön?

”The greatest enemy of a good plan is the dream of a perfect plan. Stick to the good plan.” (Jack C. Bogle, The Little Book of Common Sense Investing)

Cheers

Björn

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